Schon im Interview mit Martin Koller vom 12. Januar 2023 waren die Temperaturen das Hauptthema. Damals brachte die ausserordentliche Wärme die Kulturen im Gewächshaus und in den Folientunnels durcheinander. Blicken wir zurück, was 2023 witterungsmässig sonst noch an Herausforderungen mit sich gebracht hat!
2023 war ein Jahr der Wetterextreme. Im März war den Produzierenden noch ein guter Start gegönnt. Die Aussaaten und erste Pflanzungen erfolgten sogar früher als in einem durchschnittlichen Jahr. Ab April hingegen wollte es nicht mehr aufhören zu regnen. Pflanzungen mussten aufgeschoben werden, die Setzlinge gingen kaputt oder konnten erst so spät gepflanzt werden, dass alles zusammen zur Ernte gelangte. Speziell betraf das die Salate, welche im Hinblick auf eine ständige Verfügbarkeit normalerweise in vielen Sätzen das ganze Jahr über gepflanzt werden. Diese Jungpflanzen müssen bei den Bio-Setzlingsproduzierenden im Seeland spätestens vor deren Aussaat, aufgrund von Erfahrungswerten jeweils ca. vier bis sechs Wochen im Voraus bestellt werden, die ersten also schon im Winter. Auch Kartoffeln konnten teilweise erst mit sechs Wochen Verspätung gepflanzt werden. Ab Ende Mai wechselte die Witterung dann zu trocken und heiss. Das Gemüse hatte während des Dauerregens wenig Wurzeln gebildet und bekundete daher grosse Mühe mit dem abrupten Wechsel. Die Auswirkungen davon waren teilweise erst im Winter zu sehen: So musste man zum Beispiel beim Chinakohl sogenannten Innenbrand hinnehmen. Das sind braune Blätter im Kopfinneren, was von aussen nicht sichtbar ist, jedoch eine Folge von ungenügender Wasser- und damit Nährstoffaufnahme ist. Aber damit nicht genug: Ab Mitte Oktober, also bei etwas tieferen Temperaturen, sollte eigentlich die Karottenernte beginnen. Aber genau dann setzte wieder Dauerregen ein. Das führte dazu, dass einige Karotten überhaupt nicht geerntet werden konnten.
Schädlinge und Krankheiten haben oft ein leichteres Spiel, wenn die Pflanze geschwächt ist. Aber es ist sehr unterschiedlich: Bei heisser, trockener Witterung gibt es zum Beispiel mehr Echten Mehltau. Bei dieser Pilzkrankheit wird die Blattoberseite mit einem weissen Rasen besiedelt. Nasse Witterung hingegen fördert den Falschen Mehltau, bei dem auf der Blattunterseite ein weisser oder grauer Sporenbelag sichtbar wird und das Blatt recht schnell zerstört wird. Beide Pflanzenkrankheiten sind hoch spezialisiert, sie befallen also quasi jeweils nur eine Pflanzenart. Jede Gemüse- oder Kartoffelart hat also ihren «eigenen» Falschen oder Echten Mehltau. Diese sind beide nicht ansteckend für andere Gemüsearten. Das bedeutet etwa, der Echte Mehltau auf den Karotten kann die benachbarten Tomaten nicht befallen. ABER: Die Bedingungen für einen Befall sind immer sehr ähnlich. Der Echte Mehltau liebt es heiss und trocken, und zwar auf allen Pflanzenarten. Der Falsche Mehltau breitet sich bei gemässigten Temperaturen und höherer Feuchtigkeit aus. Er ist kein Pilz, sondern ein mit den wasserliebenden Algen näher verwandter Erreger. Die Bio-Gemüseproduzierenden sind gefordert: Tritt Echter Mehltau auf, können sie zu gewissen sanften ‘Hausmitteln’ greifen (wie zum Beispiel Backpulver), beim Falschen Mehltau gibt es kaum solche.
Generell stellte im 2023 die Verfügbarkeit eine grosse Herausforderung dar. Die abrupten Wetterwechsel machten eine regelmässige Versorgung fast unmöglich. Die Gemüsearten waren unterschiedlich betroffen. 2023 war die Situation bei den Zwiebeln ganz akzeptabel, obwohl Bio-Zwiebeln sonst zu den empfindlichsten Produkten gehören. Häufig spüren die Konsumentinnen und Konsumenten ohnehin gar nichts von einem Engpass, da Lebensmittelgeschäfte in einem solchen Fall rasch auf Importware zurückgreifen.
2023 gab es durch den verzögerten Start – aufgrund der lange nicht setzbaren und daher gestressten Pflanzkartoffeln – verbreitet tiefe Erträge. Solange die Erntebedingungen stimmen, muss das bei den Kartoffeln aber nicht zu einer schlechteren Lagerfähigkeit führen. Doch auch in dieser Saison hatten wir örtlich wieder riesige Probleme mit Drahtwürmern, den Larven des Schnellkäfers, die bei der Wassersuche die Kartoffeln richtiggehend durchlöchern. Bei Bio-Kartoffeln wirkt sich dies noch dramatischer aus, während bei konventionell produzierten Kartoffeln mehr Möglichkeiten zur Regulierung zur Verfügung stehen. Bei Bio sind auch Eingriffe zur Unkrautbekämpfung sowie zur Nährstoff-Versorgung etwas schwieriger. Bio ist also tatsächlich stärker betroffen von Wetterkapriolen und anderer Unbill, denn Bio-Gemüse und Bio-Kartoffeln sind einfach ein Stück näher bei der Natur.
So generell ist diese Frage schwierig zu beantworten, es gibt jedoch schon Gemüsearten, die mit Trockenheit besser umgehen können als andere. Aber ohne Bewässerung geht eigentlich nichts mehr. Bei den Kartoffeln gibt es bezüglich Trockenheitsresistenz und Krankheitsanfälligkeit deutliche Sortenunterschiede. Da müssen wir besser angepasste Sorten suchen, und die Konsumentinnen und Konsumenten müssen sich an neue Sorten und an einen schnelleren Sortenwechsel gewöhnen. Derzeit sind Testpflanzungen im Gange, auch im Seeland. Neue Bio-Kartoffeln wie zum Beispiel die mehligkochende Jelly hat die Agria schon zu einem guten Stück ersetzt. Die festkochende deutsche Sorte Simonetta ist eine Kandidatin zum Ersatz der heutigen Charlotte oder Dita. Diese neuen Sorten sind jedoch noch nicht alle breit verfügbar. Das grösste Problem im Anbau von Bio-Kartoffeln ist die Krautfäule, die von einem algenartigen Erreger ausgelöste Pflanzenkrankheit. Daher setzt man für Bio neu auf Krautfäule-resistente Sorten wie Vitabella. Die bekannte Sorte Bintje wird in Bio überhaupt nicht angebaut, weil sie hoch anfällig ist für Krautfäule.
Wir suchen zielgerichtet Kartoffelsorten, die auch bei Hitze und Trockenheit schöne, regelmässige Kartoffeln bilden. Zusätzlich müssen sie robust sein gegen die wichtigsten Krankheiten, wie etwa die vorher erwähnte Krautfäule.
Ja, das auch… Aber da das Anforderungsprofil riesig ist, ist betreffend Lagerung auch die Technik unter natürlichem Keimschutz wichtig, etwa mit Minzenöl. Das führt dazu, dass es im Kartoffellager vorübergehend etwas nach Kaugummi riechen kann. Nach dem Auslagern und dem Waschen ist dieser natürliche Geruch aber nicht mehr feststellbar.
Nein, nicht generell. Allerdings: Gemüse, das weniger «getrieben» wird, also langsamer wachsen kann, lässt sich in der Regel besser lagern. Es hat aufgrund des langsameren Wachstums stärkere Zellwände und ist nicht mit Stickstoff überdüngt. Das ist bei Bio schon gegeben. Besonders wichtig ist aber, dass man nur gesundes Gemüse einlagert.
Grundsätzlich ja.
Richtig Lagern heisst, den Wasserverlust zu reduzieren. Der Kühlschrank ist für die Gemüselagerung eigentlich zu warm. Denn der Prozess der Kühlung entzieht dem Gemüse auch Wasser. Das heisst, dass man das Gemüse – je nach Art – nur wenige Tage bis maximal zwei Wochen lagern kann. Am besten packt man es in einen Plastikbeutel und legt es ins Gemüsefach. So bleibt die nötige Feuchtigkeit länger erhalten. Das gelagerte Gemüse sollte man regelmässig kontrollieren und faule Blätter entfernen. Wurzelgemüse hält ungewaschen übrigens länger, denn etwas Erde bietet einen gewissen Schutz, während das Waschen die Gemüsehaut minimal verletzen und damit anfälliger machen kann.
Anfangs April gehen die Lagerbestände von Chinakohl, Cicorino rosso und Zuckerhut zu Ende. Kabis, Karotten, Knollensellerie, Pastinaken, Schwarzwurzeln und Zwiebeln hingegen sind noch länger verfügbar.
Ein gutes Produktionsjahr, welches es auch erlaubt, Reserven für ein schlechtes Jahr zu sammeln, gibt es fast nicht mehr. Wir verzeichnen überall Kostensteigerungen, die nicht durch bessere Preise gedeckt sind. Zudem wird es immer schwieriger, genügend Arbeitskräfte aufbieten zu können.
Ja, schon. So werden im Seeland beispielsweise jetzt auch Süsskartoffeln angebaut. Oder es gibt Betriebe, die sich mit Ingwer versuchen. Natürlich müssen sich die Gemüsegärtner auch den Konsumgewohnheiten anpassen. So konnte beispielsweise der Anbau von Stangensellerie ausgebaut werden.
Der Trend heisst Vielfalt, auch in Form grösserer Farben- und Formenvielfalt. Wurzelgemüse, wie zum Beispiel die Pastinake, sind richtiggehend wiederentdeckt worden. Andere, die zwar immer wieder als Tipp gehandelt werden, wie die Steckrübe, werden nur wenig nachgefragt. Eine Aufwärts-Tendenz haben wir beim Federkohl und beim Stangensellerie bemerkt. Karotten sind heute nicht einfach nur in Orange, sondern in verschiedenen Farben von Weiss über Gelb bis Violett zu haben. Noch stärker sehen wir das Bedürfnis nach Vielfalt bei Tomaten, die neu gezüchtete Datteltomate Datterino ist überaus beliebt, fast schon ein Überflieger. Trends können sich auch punkto Verwendbarkeit ergeben. So ist etwa Mini-Lattich sehr angesagt, da dieser sich perfekt für kleinere Haushalte von einer oder zwei Personen anbietet und fast schon wie ein Convenience-Produkt rasch zubereitet ist.
Da ist die Knospe, das Label der Schweizer Bio-Produzierenden, sehr klar. Gentechnische Eingriffe und Versuche sind nicht erlaubt. Der Bio-Gedanke bringt es konsequenterweise mit sich, dass wir nicht um jeden Preis und mit allen verfügbaren Gen-Tech-Möglichkeiten nach Lösungen suchen, wo schon bewährte resistente Ersatzprodukte zur Verfügung stehen. Wir suchen also nicht nach Bio-Lösungen für die krankheitsanfälligen Bintje-Kartoffeln und Gala-Äpfel, sondern nach sanften Lösungen in Form neuer Sorten. Die Konsumierenden werden sich an andere Produkte gewöhnen müssen, ohne das geht es nicht.
Ich habe sehr viel verschiedene Gemüse gern. Ich mag zum Beispiel die leicht bitteren Salate im Winter, wie Zuckerhut und Cicorino. Köstlich finde ich auch etwas schwieriger erhältliche Gemüsearten wie Rosenkohl oder Schweizer Kefen, die nur eine sehr kurze Saison haben. Am tollsten aber finde ich die Abwechslung, die es durch das Jahr gibt. Wir haben zu jeder Zeit frische Salate und Gemüse aus saisonalem Anbau! In Bio-Qualität natürlich!
Für den Bio-Gemüseanbau im Seeland haben wir eine Passion! Wir wollen einen Beitrag für eine vielfältigen, nachhaltigen Gemüseanbau leisten und die Bio-Gärtnerinnen und -Gärtner in ihrer anspruchsvollen Aufgabe unterstützen.
Interview durchgeführt im März 2024
Martin Koller absolvierte eine Ausbildung in der Gemüseforschung und ein Gartenbaustudium in Wädenswil. Dazu sammelte er praktische Erfahrungen bei Gemüseproduzenten im Seeland.
Während 25 Jahren war er als Versuchsansteller und Berater im Gemüse- und Gartenbau am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) tätig. Ab 2019 war er Berater bei der Terraviva und hat Anfang 2022 die Geschäftsleitung der InnoPlattform Bio übernommen.
Geschäftsleiter der InnoPlattform Bio
Die Innoplattform Bio mit Sitz in Kerzers bietet Kompetenz im Bioanbau von Gemüse und Kartoffeln an. Die Plattform gehört den Produzentinnen und Produzenten sowie der Terraviva ag/sa und der Seeland Bio. Die Beratungstätigkeit für Fragen zum biologischen Anbau erstreckt sich von Genf bis in die Ostschweiz, der Hauptfokus liegt jedoch auf dem Seeland. Naheliegend, denn die Innoplattform Bio GmbH ist Partner von PASSION SEELAND bio:logique.
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